Wenn Himmel und Erde sich berühren

"Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst."

Als Pfarrer Clemens Abrahamowicz dieses Bibelzitat auf Facebook postete, ahnte wohl niemand, wie konkret es Baumgarten nur wenige Tage später betreffen würde.

von Rafael Riedler



Der 3-jährige Ahmad aus Syrien konnte in Baumgarten das erste Mal in seinem Leben richtig Kind sein.
Der 3-jährige Ahmad aus Syrien konnte in Baumgarten das erste Mal in seinem Leben richtig Kind sein.

"Flüchtlingswelle aus Ungarn rollt an."

"Massen an Flüchtlingen strömen auf die Bahnhöfe."

Als Anfang September diese und ähnliche Meldungen in den Medien zu lesen waren, war rasch klar, dass besondere Herausforderungen auf unser Land zukommen würden. Angesichts unvorstellbaren Leids flüchten zurzeit tausende Menschen aus Syrien, aber auch aus dem Irak und Afghanistan über den beschwerlichen Weg über das Mittelmeer und durch viele Länder bis zur ungarisch-österreichischen Grenze. Viele wollen nach Deutschland weiter. Es wurde mehr und mehr nötig, diese Menschen auf ihrer Reise zu versorgen, Schlafplätze zu schaffen und die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten sicherzustellen.


In den Tagen der dramatischen Zuspitzung der Flüchtlingstragödie bezogen auch Papst Franziskus und Kardinal Christoph Schönborn äußerst klar Stellung. Wegschauen ist für einen Christen in dieser Situation unvorstellbar. Es werde sich zeigen, ob es uns ernst ist mit unseren christlichen Werten in Europa oder sie längst zur Makulatur geworden sind, so unser Erzbischof in der Gedenkmesse für 71 verstorbene Flüchtlinge im Stephansdom.


Schließlich reichte die Versorgung durch Behörden und auf den Bahnhöfen nicht mehr aus. Die Caritas Wien rief alle Pfarren auf, dringend Notquartiere zur Verfügung zu stellen. Und so kam es, dass plötzlich und innerhalb weniger Stunden auch Baumgarten zur Herberge für Menschen auf der Flucht wurde. Am 13. September richteten freiwillige Helfer, die sich selbst zusammengefunden hatten, ganz spontan Matratzen im Pfarrheim her und begannen zu kochen. Nur wenige Stunden später, mitten in der Nacht, trafen 60 Flüchtlinge in der Felbigergasse ein.

Männer, Frauen und auch mehr und mehr Kinder kamen im Lauf der Woche und teilweise täglich bzw. nächtlich wechselnd nach Baumgarten. Mit hatten sie so gut wie nichts außer die nassen Kleider, die sie am Leib trugen. Viele hatten aufgrund der langen und hastigen Fußmärsche durch Ungarn Verletzungen auf den nur mit Flipflops bedeckten Füßen. Sie wirkten ausgezehrt und erschöpft und hatten alle großen Hunger. Die Helfer, die sich koordiniert durch ein Notquartierteam mehr und mehr organisierten und einfanden, versorgten sie mit Decken, Essen, Schokolade und Spielzeug für die Kinder, erklärten ihnen alles oder hörten einfach nur zu.

Die zwei syrischen Familien verwöhnten auch die Helfer mit köstlichem Essen.
Die zwei syrischen Familien verwöhnten auch die Helfer mit köstlichem Essen.

Im Lauf der Zeit wurde das auf unglaubliche Dimensionen anschwellende Helferteam auf 3-Stunden-Schichten von 0-24 Uhr aufgeteilt, um die Versorgung unserer Gäste zu jeder Zeit sicherzustellen. Auch Ärzte, Dolmetscher und Juristen meldeten sich freiwillig. Ein eigenes Welcome-Team war innerhalb von 15 Minuten mobilisierbar und begrüßte neu ankommende Leute. Viele Pfarrmitglieder brachten Sachspenden, sodass bald ein richtiges Lager an Kleidung, Hygieneartikeln und Spielzeug bereit stand.


Mehr und mehr fassten die Flüchtlinge Vertrauen zu den Baumgartnern. Sie erzählten uns ihre unvorstellbaren Geschichten von Zerstörung, Tod, Krieg und der lebens-gefährlichen Flucht nach Österreich. Und sie begannen, beim Putzen mitzuhelfen und für alle wunderbar zu kochen.

Die Nummern hatten plötzlich Gesichter bekommen. Es sind Menschen wie du und ich, die da waren. Menschen mit Ängsten, furchtbaren Erlebnissen, aber auch dem Wunsch nach einem Neubeginn. Kinder mit Träumen für ihre weitere Zukunft ohne Bombenhagel. Viele dieser Kleinen hatten nie etwas anderes als Krieg und Gewalt erlebt. In Baumgarten konnten sie zum ersten Mal angstfrei spielen und Kind sein. Sie begannen zu lachen, im Pfarrgarten herumzutollen und zu strahlen. Ein Wunder, wenn man bedenkt, was sie mitgemacht haben. Schließlich kamen auch Kinder und Jugendliche aus der Pfarre, um mit ihnen zu spielen und ein Eis zu genießen.

Baumgartner Kinder, Helferinnen und einer unserer Übersetzer schenkten den Mädchen aus Syrien einen unbeschwerten Spielenachmittag.
Baumgartner Kinder, Helferinnen und einer unserer Übersetzer schenkten den Mädchen aus Syrien einen unbeschwerten Spielenachmittag.

Die traurigen Gesichter des Ankunftstags wichen hoffnungsvollen und fröhlichen Gesichtern. Am Abend sangen und tanzten die Männer gemeinsam mit Pfarrmitgliedern, die Kinder spielten am Wuzler im Jugendkeller und die Eltern konnten endlich einmal wieder abschalten. "Thank you, Austria", hörte man sie wieder und wieder sagen. Am Abend vor der Weiterreise der meisten Flüchtlinge gab es eine spontane Party im Pfarrheim. Unzählige Helfer feierten mit den Flüchtlingen, die inzwischen zu Freunden geworden waren, ein ausgelassenes Fest, das sich in Worten kaum beschreiben lässt. Es wurde gesungen, getanzt, gelacht und Selfies gemacht. Baumgartens größte Bewährungsprobe hatte aus dem vielen Helfern Unglaubliches hervorgeholt, der Heilige Geist war kaum jemals zuvor so stark zu spüren. Ein herzliches Dankeschön an das große Team!

Helferteam und Flüchtlinge feierten gemeinsam ein Abschiedsfest.
Helferteam und Flüchtlinge feierten gemeinsam ein Abschiedsfest.

Den Flüchtlingen aber wünschen wir einen gelungenen Neustart in einer neuen Welt, Perspektiven, Glück und Segen und dass ihre Träume in Erfüllung gehen. Diese Woche des Notquartiers hat auch uns in Baumgarten sehr verändert. Und nie zuvor haben sich hier Himmel und Erde so eng berührt. Der Friede sei mit uns allen und der ganzen Welt!