Der Kirchenbau, der mit der Grundsteinlegung am 31. Mai 1907 seinen Anfang nahm und mit der Kirchweihe fast exakt eineinhalb Jahre später vollendet wurde, war in vielfacher Weise bemerkenswert. Mit einer Turmhöhe von 57 Metern zählt St. Anna zu den höchsten Kirchenbauten Wiens; die überbaute Länge von 50,5 Metern, eine Breite von 31,5 Metern und eine innere Kuppelhöhe von 18 Metern machen die Kirche zu einem höchst imposanten Bauwerk. Außergewöhnlich war auch das „allerhöchste“ Interesse an der St.-Anna-Kirche, war sie doch als „Kaiser-Jubiläums-Pfarrkirche zur heiligen Anna“ zu Ehren des 60. Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs I. errichtet worden. So war der Kaiser selbst bei der Grundsteinlegung anwesend und beim Weihefest gleich sieben Erzherzöge des Hauses Österreich, an ihrer Spitze der Erzherzog Franz Ferdinand, zugegen. St. Anna war auch Garnisonskirche des damals in Baumgarten stationierten k. k. Landwehrregiments, was den äußerst großzügig bemessenen Raum um die Vierung des Gotteshauses erklärt. An Sonn- und Feiertagen waren daher bis zum Ende des Ersten Weltkrieges stets große militärische Abordnungen aus der Baumgartner Kaserne (heute Bezirksvorstehung) anwesend.
Interessant ist auch die unorthodoxe architektonische Ausrichtung des Kirchenbaus, der über eine Nord-Süd-Achse vom Haupteingang zum Hochaltar verfügt, und nicht, wie grundsätzlich üblich, den Hauptaltar gegen Osten orientiert. Der Grund hierfür lag in einem praktischen Aspekt, da der Haupteingang zur Linzer Straße als Hauptverkehrsader Baumgartens führen sollte.
Lassen wir den Rundgang durch die Pfarrkirche mit der mittlerweile oftmals unbeachteten Antoniuskapelle an der östlichen Seite nahe dem Haupteingang beginnen. Diese ursprüngliche Taufkapelle konnte aus finanziellen Gründen nicht mehr rechtzeitig fertiggestellt werden; die vorgesehenen Fresken entstanden mit großer Verspätung erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1951 durch den in Baumgarten ansässigen akademischen Maler Karl Pellmann, der selbst in der linken unteren Ecke zu erkennen ist. Die Fresken stellen den Lebenslauf des Christenmenschen von der Taufe bis zum Begräbnis dar. Der auf den Malereien dargestellte Priester trägt die Gesichtszüge des damaligen Pfarrers von Baumgarten, Johannes März, der von 1945 bis 1971 in Baumgarten wirkte und Wesentliches zum heutigen Aussehen des Kircheninnenraumes beigetragen hat. Auch wurden hier die Tafeln mit den Namen der in den Weltkriegen gefallenen Baumgartner angebracht. Die Kapelle sollte in den 1990ern zu einem Aussprachezimmer umgebaut werden. Daher erhielt sie die jetzt noch vorhandene gläserne Türe mit rotem Vorhang. Aufgrund der kalten Temperaturen in St. Anna wurde der Raum allerdings nie wirklich in dieser neuen Funktion benützt. Während der nächsten Jahre fand man die Antoniuskapelle meist versperrt vor. Pfarrer Pawel Marniak nahm das von Papst Franziskus ausgerufene "Jahr der Barmherzigkeit" von Dezember 2015 bis Dezember 2016 zum Anlass, die Kapelle für die Anbetung wieder zu öffnen.
Wenden wir uns nun der Dolorosakapelle zu. Die halbrunde Kapelle in der Mitte des östlichen Seitenschiffes beherbergt das schönste Kleinod unserer Kirche, die Pietà und darunter versteckt ein Heiliges Grab. Der einst in blauen Farbtönen – als die Farbe der Gottesmutter – sehr bunt gestaltete Altarraum wurde zwischen 1947 und 1951 unter Pfarrer März neu gestaltet und erhielt sein gegenwärtiges Aussehen. Die an die Kunst des Jugendstils angelehnten Schablonenmalereien stammen ebenfalls von Karl Pellmann; der weiße Hintergrund sollte nach dem Wunsch von Johannes März den Blick auf das Wesentliche – das Leiden der Gottesmutter, die ihren vom Kreuz abgenommenen Sohn in ihren Armen hält – richten. Ein Rätsel bleibt bis heute der Spender der Pietà. Die künstlerisch sehr schön gearbeitete Plastik, die an die weltberühmte Pietà des Michelangelo angelehnt ist und wahrscheinlich aus der königlich bayerischen
Hofmanufaktur für Kirchenkunst stammt, muss sehr teuer gewesen sein. Der Spender wollte aber anonym bleiben und das Geheimnis seiner Identität wurde niemals gelüftet.
Der bereits erwähnte „Familienaltar“ im östlichen Seitenschiff wurde erst 1951 errichtet. Dazu wurde der Altartisch aus der Antoniuskapelle an seinen heutigen Platz überführt, wie auch das Altarbild der heiligen Anna mit der kindlichen Gottesmutter, das seit 1908 als Altarbild der Antonius-(Tauf)-Kapelle diente. Dieses Bild ist das bei weitem älteste Bildnis unserer Pfarrkirche, da es sich hierbei um das Hochaltarbild der alten Pfarrkirche handelte. Es wurde mit einiger Sicherheit im Zuge der großen Renovierung der alten St.-Anna-Kirche in den Jahren 1755 bis 1757 in der Kirche angebracht. Ob es älter noch als 1757 ist, müsste erst eine genaue Untersuchung ergeben. Die Holzschnitz-Statue des Heiligen Josef wurde 1951 vom Baumgartner Josef Melchart, dem früheren Generaldirektor des Bankhauses Schelhammer & Schattera, gestiftet.
Den Herz-Jesu-Altar am Ende des östlichen Schiffes spendete die alteingesessene Familie Franz und Georg Moßbacher, von welcher auch der gesamte Glockenstuhl gestiftet wurde.
Von besonderem Interesse ist der Hochaltarraum. Im Zentrum befindet sich die herrliche neoromanische Holzplastik des Grödener Schnitzmeisters Ferdinand Stuflesser. Bereits 1908 wurde der Korpus mit Goldfarbe bemalt, was man auch auf mehreren erhaltenen Fotografien erkennen kann. Zu beiden Seiten des Altarkreuzes befanden sich einst zwei vergitterte Fenster, die im Zuge der März‘schen Restaurierung und Neugestaltung mit zwei Marmorreliefs betender Engel geschlossen wurden. In diese Zeit fällt auch die Entfernung des Goldlacks vom Korpus des Hauptkreuzes.
Die zwei bronzenen Altarleuchter wurden vom Baumgartner Milchhändler Franz Tihelka (der den Spitznamen „Gute Butter“ trug) gestiftet.
Der imposante Hauptleuchter in der Vierung ist, wie auch die anderen Beleuchtungskörper des Hochaltares, ein Werk des Baumgartner Kunstschmiedes Anton Schwarz.
Der hölzerne Volksaltar wurde 2008 von Pfarrer Clemens Abrahamowicz in Auftrag gegeben und von Tischlern der Pfarre nach seinen Plänen gefertigt.
Bemerkenswert ist darüber hinaus auch das große Apsisbild des akademischen Malers Hans Zatzka, des Bruders des damaligen Stadtrates Ludwig Zatzka. Stadtrat Zatzka kam eine wesentliche Rolle in der Ermöglichung des Kirchenbaus zu. Der im Wien der Jahrhundertwende überaus bekannte Maler Zatzka setzte neben der Verherrlichung der heiligen Familie und der heiligen Anna auch den wichtigsten Spendern der Pfarrkirche ein künstlerisches Denkmal. Erich Beraus, der in der Festschrift zum 200-jährigen Bestehen der Pfarre Baumgarten einen umfassenden historischen Rückblick schuf, recherchierte die Details des großen Freskos:
„Unter dem rechten Apsisfenster in devoter, gebückter Haltung, zu Füßen Dreieck, Zirkel und Bauplan – der Planer des Kirchenbaus: Architekt Kuntschik; hinter ihm im hermelinverbrämten Mantel und knieend – der Bürgermeister von Wien: Lueger; rechts hinter diesem, gemeinsam mit einem jungen Mädchen [Anm.: wohl deren Tochter Leopoldine Piwoda, geb. Zehetner] die Spenderin des Kirchengrundes: Anna Zehetner; rechts vom rechten Apsisfenster in tief gebeugter Haltung, der Stifter der zweiten Hälfte des Kirchengrundes [Anm.: der Straßenanlagen hinter der Pfarrkirche]: Raimund von Götz. Links unten eine alle Altersstufen umfassende Personengruppe – jene repräsentierend, die durch ihre Spenden Wesentliches beitrugen: die Baumgartner; davor unter dem linken Apsisfenster, in fast liegender Pose – der Statthalter von Niederösterreich: Graf Kielmannsegg. In Bildmitte schließlich zwei Heilige, die gemeinsam mit zwei, die Wappen von Wien und Baumgarten haltenden Engeln ein Modell der neuen Kirche zur Patronin St. Anna, der hl. Familie und dem hl. Joachim emporreichen; links der hl. Franziskus: stellvertretend für Kaiser Franz Joseph, dessen Namenspatron er war; rechts der hl. Carl Borromäus: stellvertretend für den Präsidenten des Kirchenbauvereines und Pfarrer von Baumgarten, Carl Eder, dessen Namenspatron dieser Heilige war. Vielleicht ist es nur Zufall, dass die Gesichtszüge dieser Gestalt eine frappante Ähnlichkeit mit einem im Pfarrhof befindlichen Foto des für Baumgarten so bedeutenden Pfarrherrn ausweisen ...“
Der Altarraum verfügte im unteren Bereich der Apsis über Malereien im pseudobyzantinischen Stil, die im Zuge der März‘schen Renovierung ebenfalls verschwanden – sie wurden übermalt bzw. überklebt mit dem Spruchband „Gloria Deo – Gloria Die“ sowie mit Medaillonbildern einiger für Österreich wichtiger Heiliger. Pfarrer März führte zahlreiche Umgestaltungen im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils durch – so kam einerseits der Volksaltar hinzu und die schmiedeeisernen Kommunionsschranken weg. Ein besonderes Markenzeichen dieses für Baumgarten so prägenden Priesters war die Umfärbung des ursprünglich goldenen Zierbandes links und rechts des Hochaltares in den Farben violett-weiß-gold. Dies waren die Farben der katholischen CV-Verbindung „Nordgau“, der März zeitlebens angehörte.
Das wunderschöne große Taufbecken aus Tiroler Marmor wurde 1908 vom Baumgartner Steinmetzmeister Josef Leeb und dessen Gattin gestiftet und wurde 2007 vor dem Marienaltar neu aufgestellt. Es ist nun an einer sehr schönen Stelle im liturgischen Mittelpunkt unserer Kirche „im Einsatz“.
Der schöne Marienaltar im westlichen Seitenschiff stammt aus unbekannter Werkstätte. Die überaus bewegenden Kreuzwegbilder stammen - wie die Pietà - auch aus der königlich bayerischen Hofmanufaktur für Kirchenkunst. Beide Kunstwerke wurden aus den Mitteln der zahlreichen Geldspenden angeschafft. Sie stammen alle aus der Zeit der Erbauung der Pfarrkirche.
Hochinteressant ist das mit Abstand älteste Artefakt des Innenraumes unserer Pfarrkirche – das Epitaph des Stifters des ersten Baumgartner Gotteshauses, Pankraz Höritzer. Der aus einer der führenden Familien Baumgartens vor der Zeit der Ersten Türkenbelagerung stammende Höritzer stiftete kurz nach der Wende zum 16. Jahrhundert den ersten Kirchenbau.
Sein Epitaph aus dem Jahre 1511 befand sich ursprünglich rechts neben dem Haupteingang der alten Pfarrkirche, wurde im Jahre 1909 an der Außenmauer neben dem östlichen Seiteneingang angebracht und vor etwa 15 Jahren an der Innenwand des westlichen Seitenschiffes montiert. Es ist somit eine der ältesten Bildquellen des 14. Bezirkes.
Der Rundgang führt uns schließlich zur die Orgelempore mit der berühmten Rieger-Orgel. Zuerst wurde im Jahre 1909 eine Holzpfeifenorgel erbaut, die allerdings fast schon von Anfang an klanglich und baulich erhebliche Mängel zeigte – das Geld war den Baumgartnern leider ausgegangen. Abhilfe konnte erst fast 70 Jahre später geschaffen werden, als ein Nachkomme des Stifters Raimund von Götz, Josef von Glatter-Götz, eine neue Orgel errichtete. Dieser war – welch glückliche Fügung – Eigentümer der weltberühmten österreichischen Orgelbau-Firma „Rieger“, deren Instrumente zu den besten der Welt zählen. Aufgrund des familiären Bezugs Glatter-Götz’ legte dieser ein sehr gutes Angebot und durch die Spendenfreudigkeit einiger Baumgartner Familien sowie das großzügige Entgegenkommen der Erzdiözese konnte 1977 unsere wunderbare Orgel errichtet werden. Seither ist sie musikalischer Mittelpunkt unseres Pfarrlebens; Organisten von Weltruhm haben sie gespielt.
Schließlich sollte noch unsere Aufmerksamkeit auf die Kanzel gerichtet werden. Den schönen Bau ziert an seinem Fuße ein Selbstporträt des Architekten der Pfarrkirche, M. Otto Kuntschik. Für die Mosaiken der Kanzel war zum Zeitpunkt des Baus auch kein Geld mehr übrig, so wurden die dafür vorgesehenen Fenster erst in den Vierziger Jahren mit den Bildnissen der vier Evangelisten ausgefüllt.
Gleich gegen über der Kanzel befindet sich an der Säule im Hauptschiff das jüngste Kunstwerk der Pfarrkirche: ein Mosaikbild der heiligen Mutter Teresa, welche seit der Gründung der gemeinsamen Pfarre 2019 die Pfarrpatronin ist. Das Mosaik schlägt die optische Brücke zu den vier Evangelisten an der Kanzel und wurde in der Werkstatt Colibri Mosaic in Charkiw in der kriegsgebeutelten Ukraine hergestellt.
Der Rahmen des Bildes besteht aus dem umgearbeiteten Holz eines ausgemusterten Beichtstuhls und fügt sich daher ideal in die Formensprache der anderen Holzarbeiten in Kirchenraum ein.
Bei der Patroziniumsfeier 2023 (5. 9. 2023, Gedenktag der hl. Mutter Teresa) wurde das Bild feierlich enthüllt.
Diesen kunsthistorischen Rundgang sollte ein Blick auf die prachtvollen Fenster beschließen. Die Bildnisse der Heiligen sowie die leuchtend bunten Verzierungen wurden von den zum Kirchenbau wesentlich beitragenden Familien und von einigen der ihn durchführenden Firmen gestiftet.
Im Jänner 2019 entschied Kardinal Schönborn, dass in der gemeinsamen Pfarre Heilige Mutter Teresa die Kirche St. Anna den Titel „Pfarrkirche“ tragen wird.
Mit diesem Titel sind laut den Richtlinien zum Diözesanen Entwicklungsprozess und der ‚Rahmenordnung Liturgie‘ „keine weiteren Rechte und Pflichten“ verbunden.
Diese Entscheidung des Kardinals beinhaltet, dass weiterhin in beiden Kirchen unserer Pfarre – Filialkirche „Zu den vier heiligen Evangelisten“ und Pfarrkirche „St. Anna“ – sämtliche liturgische Feiern, wie auch Taufen, Hochzeiten, Begräbnisse etc. gefeiert werden dürfen.
Erik Kroiher
Bearbeitung: Gabi Moritz
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